Der Umgang mit dem Tod macht oft Angst und weckt die tiefsten Befürchtungen in uns, mit denen wir uns nicht auseinandersetzen möchten. Doch was sich für mich dadurch offenbarte, war die bedingungslose Liebe, die Freude in den kleinen Details zu erkennen und vor allem das Annehmen dessen, was ist und was man nicht ändern kann, um den eigenen inneren Frieden wiederzufinden.
Noch heute ist der Tod oft ein Tabuthema. Man spricht nicht darüber. Aber warum eigentlich? Ist es nicht etwas, womit wir alle früher oder später konfrontiert werden? Irgendwann musste auch ich mich mit dem Thema auseinandersetzen und hätte nie gedacht, dass in dieser Trauer, Wut und Verzweiflung auch so viel Liebe und Freude zum Vorschein kommen können. Der Satz "Zeit heilt alle Wunden" trifft für mich weder beim Thema Tod noch bei anderen enttäuschenden Erlebnissen zu. Ich habe es jahrelang versucht, einfach weiterzumachen, doch es fühlte sich an, als würde man Probleme verdrängen. Ich habe den Eindruck, dass Menschen dadurch nur rationaler, kälter, unzugänglicher und frustrierter werden. Aus einem Schutzbedürfnis heraus, um solche Erlebnisse nicht nochmals durchmachen zu müssen? Ja, so war es sicher bei mir. Ich wollte unangreifbar sein – zu einem hohen Preis. Ich verlernte, mich selbst zu fühlen, wurde immer leerer und empfand keine Emotionen mehr. Geht es nicht vielen so?
Ich habe nicht vergessen, und die Zeit hat auch nicht alle Wunden geheilt. Ich habe lediglich gelernt, damit zu leben, und Wege gefunden, auch darin das Gute zu sehen, um neue Wege zu gehen, die sich von Herzen lebendig gut anfühlen. Ich lernte, dass dieser Schmerz nichts Schlechtes ist und dass er sein darf. Seit ich das zulasse, konnte ich tiefe Dankbarkeit und Liebe empfinden, die zuvor wie betäubt waren. All meinen Gefühlen Raum zu geben, war für mich ein Gefühl purer Freiheit.
Nicht nur mein Innenleben hat sich verändert und alles auf den Kopf gestellt, auch mein komplettes Umfeld und meine Gewohnheiten haben sich gewandelt. Niemand ruft mehr an, um zu fragen, ob ich gut angekommen bin, oder wie mein Tag war. Wenn das Handy klingelt, steht nicht mehr "Mama" oder "Papa" auf dem Display. Selbst wenn ich nur kurz fragen will, welche Zutaten in das Waffelrezept à la Mama gehören, oder wem ich voller Begeisterung von meinen faszinierenden Abenteuern berichten soll – niemand ist da, der sich mit mir freut, nicht so wie es meine Eltern taten. Es herrscht einfach pure Stille, die ich zuvor nicht kannte. „Noch nicht kannte“ – ich begann langsam, sie kennenzulernen und mit Leben zu füllen.
So begann ich, mir die besten Fragen meines Lebens zu stellen, und dadurch konnte ich mich selbst neu kennenlernen und mein Leben neu gestalten. Ganz frei von den Vorstellungen, wie mein Leben aussehen sollte. Aus meiner Flugangst wurde eine Entdeckerfreude; ich reise nun gern allein durch die Welt, lerne neue Menschen und Kulturen kennen, finde es spannend, wie andere ihr Leben gestalten und welche Einstellungen sie haben. Ich erfreue mich an so „simplen Sachen“ wie dem Sonnenuntergang noch mehr als zuvor. Meinen sicheren Job habe ich aufgegeben und habe mich trotz Zweifel an meine Selbstständigkeit gewagt. Es ist herausfordernd, ja. Aber ich habe mich selten so lebendig und frei gefühlt, und meine Zweifel verflüchtigen sich immer mehr. Es ist, als würde ich meine Ängste verlernen und ein Selbstvertrauen aus meiner eigenen inneren Haltung entstehen lassen – aus Zuneigung, Verständnis und Mitgefühl.
Der Todestag meiner Eltern ist jedes Jahr ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden – ein Tag zum Innehalten, um etwas Besonderes zu erleben und Momente zu schaffen, die ich bewusst mit ihnen zusammen erlebe. Und meist ist dabei viel Natur, Sport, Freude und Spaß im Spiel, genau das war wir alle zusammen unternehmen würden.
Vielleicht ist es für dich noch schwierig, dich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Nimm dir gerne Unterstützung, falls du gerade Berührungspunkte damit hast oder in einer herausfordernden Lebenssituation steckst. Frag in deinem Umfeld, ob du mit jemandem darüber sprechen kannst, tausche dich aus und gehe es langsam an. Ich möchte dir einen Einblick geben, was sich für mich verändert hat und welche wertvollen Erkenntnisse ich gewonnen habe.
Wenn du dich mit deinen tiefsten Gefühlen auseinandersetzt – mit dem, was dir Angst macht, mit Einsamkeit, dem Verlust von Menschen – wird dir klar, was dir im Leben wichtig ist und wie du Gefühle für dich interpretierst und ausdrücken kannst. Der Tod hat mir erst gezeigt, was mir fehlt, wenn es nicht mehr da ist, und wie groß die Liebe ist, die ich zuvor als selbstverständlich angesehen habe. Heute schätze ich sie umso mehr.
Hier sind einige Auszüge aus meinen Erkenntnis-Tagebüchern der letzten Jahre. Ich hoffe, sie geben dir Mut, Glauben und Kraft:
- Es haben sich neue Beziehungsdynamiken ergeben: Manche Verbindungen sind schwächer geworden, andere haben sich verändert oder sind neu entstanden. Die Verbindungen werden neu geknüpft.
- Zulassen und erlauben, wieder zu leben, ist eine Entscheidung. Es reicht, wenn ich es mir selbst erlaube.
- Alle Gefühle sind wichtig.
- Glück und Leid liegen nah beieinander – das habe ich erst jetzt verstanden.
- Lebenserfahrung hat nicht nur mit dem Alter zu tun, sondern damit, was man erlebt hat und ob man offen durchs Leben geht.
- Ich habe mein Selbstvertrauen von innen gestärkt und lebe mehr nach meinen Werten.
- Ich konnte neue Perspektiven entdecken, die mein Leben bereichert haben.
- Manche Gefühle lernt man erst später kennen – nicht alles lernt man bereits im Kindesalter.
- Auch in schweren Zeiten darf ich glücklich sein, auch wenn es nur für wenige Minuten ist.
- Ich konnte mich neu kennenlernen und neu sortieren, wer ich bin und wer ich sein möchte. Das darf ich immer wieder neu entdecken wenn ich das möchte.
- Ehrlich zu sich selbst sein ist essenziell, ansonsten manipulierst du dich nur selbst und verlierst wertvolle Zeit.
- Verloren zu sein ist auch nur ein Gefühl, vielleicht ein Wegweiser, sich Zeit zu geben, um sich neu zu orientieren und neue Wege zu gehen.
- Ungewollte Veränderung und Neues fühlen sich für jeden anders an – mal befreiend, mal beengend, oder beides zugleich. Das ist okay!
- Ich verstehe nicht nur mit dem Verstand, ich fühle es. Es zu begreifen, bedeutet noch lange nicht, es emotional zu empfinden. Kennt ihr die AHA- Momente? Verstehen auf einer tieferen Ebene.
- Selbstwirksamkeit zu erkennen ist die halbe Miete; sich bewusst zu machen, dass ich immer anders handeln oder denken kann, gibt mir meine Kraft zurück. Hashtag Selbstfürsorge.
- Ich wurde zu meiner besten Freundin. Keiner erlebt das Leben so, wie ich es empfinde; keiner weiß, welche Kämpfe ich durchstehen musste und wie es sich anfühlte. Diese Gewissheit, dass ICH es weiß, mich respektiere und mir glaube, erlaubt mir heute, eine innere Ruhe zu empfinden, die sich durch Mitgefühl und Liebe äußert.
- Je mehr Empathie ich für mich selbst entwickle, desto mehr verstehe und akzeptiere ich andere.
- In schweren Momenten gebe ich mir Raum für mehr Bewusstsein und Klarheit darüber was mir wichtig ist, was mir bewusste Entscheidungen ermöglicht und ein verantwortungsvolles Tragen meiner Handlungen ermöglicht. Es fühlt sich oft wie ein Nach-Hause-Kommen an.
- Einen Glauben zu haben (jeder kann für sich selbst entscheiden, woran er glaubt) stärkt das Urvertrauen und Selbstvertrauen.
- Gefühle und Gedanken sind temporär und definieren mich nicht.
- Veränderung ist die einzige Konstante. Es fühlt sich einfacher an kein vorgestellten Zustand als Normal anzusehen, sondern das Leben mit Veränderungen als „Normal“ anzusehen.
- Glück ist ein Gefühlszustand und darf immer sein, nicht nur beim Erreichen eines Ziels oder einer Vorstellung.
- Ich muss mich nicht immer weiter optimieren und besser werden. Ich darf auch erst einmal eine Veränderung lieben lernen und erlerntes Wissen im realen Leben ausprobieren.
- Inputs und Austausch sind gut (Bücher, Podcasts, Coaches etc.), doch nur nach Lösungen im Außen zu suchen, ist wie, sich selbst nicht mehr zuzuhören. Ich schalte oft die Außenwelt ab, um meine innere Stimme und meine eigenen Bedürfnisse zu hören und zu fühlen.
- Nur weil etwas nicht sichtbar oder greifbar ist, heißt es noch lange nicht dass es nicht da ist z.B. Gefühle, Erinnerungen, Verbindungen. Was mit „allgegenwärtig“ gemeint ist, habe ich nun nicht nur verstanden, sondern ich fühle es auch.
Ach Mama und Papa, ihr seid so weit weg und doch so nah. Nicht nur zu Lebzeiten habt ihr mich so viel gelehrt.
In ewiger Dankbarkeit,
In Liebe,
Tinie
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Dieses vielseitige Thema auf einen Blogartikel zu beschränken ist ziemlich unrealistisch, ich werde immerwieder hier über diverse Themen schreiben wie auch du wieder Lebensfreude in dein Alltag integrieren kannst. Abonniere gern meinen Newsletter um Beiträge die dich interessieren nicht zu verpassen.